Warum Akrobatik?

Warum sollte man eigentlich Akrobatik betreiben? Wie kommt man nur auf die wahnwitzige Idee, auf andere Menschen zu klettern oder sich kopfüber in luftige Höhe schleudern zu lassen?

Abgesehen davon, dass genau in diesem Wahnwitz ein großer Reiz für das menschliche Neugierdebedürfnis steckt, gibt es noch einige weitere Gründe, warum uns das Spiel mit dem Gleichgewicht so begeistert.

Akrobatik ist soziales Handeln

Partner- & gruppenakrobatische Übungen haben einen unter den Sportarten einzigartigen Charakter: Man turnt zusammen. Es geht nichts ohne das Miteinander. Dazu bedarf es der Absprache, des gegenseitigen Vertrauens und natürlich des unermüdlichen miteinander Übens.

Der soziale Faktor beruht auf einem Wechselspiel von Vertrauen, welches ein Oberpartner aufbringen muss und Verantwortung, die der Unterpartner übernimmt.

In der Partnerakrobatik zeichnet sich insbesondere der Faktor der Motorik als Kommunikationsmittel ab. Über Anspannung, Entspannung, Gleichgewichtsverlagerung usw. macht man sich dem Partner nonverbal bemerkbar.

Einen wesentlichen Anteil dazu trägt die Kommunikation untereinander bei. (…) Diese spezielle Körpererfahrung (…) [ist] nur durch die Akrobatik so direkt erfahrbar.“ (Ballreich et all, 2012, S.30)

Dabei lernen die Teilnehmenden grundsätzliche Fähigkeiten wie Teamarbeit, Umgang mit Konflikten uvm. Eingebettet in ein gelungenes pädagogisches Setting vermögen es die Teilnehmer, diese Erfahrungen mit in den Alltag zu nehmen, sie zu transferieren.

Ein besonders interessanter Faktor entsteht bei größeren Pyramidenbauten. Hier verliert der Einzelne an Bedeutung – er muss sich zurücknehmen können, um in der Gruppe aufzugehen.

Er erfährt sich hierdurch als Teil des Ganzen. Niemand ist wichtiger als der andere, jeder gehört gleichermaßen dazu und ist mitverantwortlich für das Gelingen der Tätigkeit. Dies verlangt eine hohe Selbstdisziplin und gegenseitige Verantwortung füreinander ab.

„Im übertragenen Sinn erleben Kinder und Jugendliche dabei, dass jeder seinen Platz in einem Team und im Leben finden kann.“ (Ballreich et all, 2007, S.49)

Akrobatik stärkt Körper und Seele

Es wundert kaum, dass akrobatische Übungen Kraft, Koordination und Geschicklichkeit in einem extremen Maß schulen. Doch abgesehen davon stärkt es auch innere Kräfte.

Die Erfahrung des Erfolgs einer Bewegung stärkt das eigene Selbstbewusstsein. Es geht hierbei weniger darum, bestimmte Techniken zu perfektionieren, als vielmehr darum, seine eigenen Potenziale zu erkennen und auszuschöpfen.

Gerade für Jugendliche, die häufig Erfahrung von Unzulänglichkeiten machen; sei es mit ihrem Körper, der schulischen Leistung, beim Umgang mit Freunden u. Ä., können hier elementare Erfolgserlebnisse gemacht werden, die sie sichereren Schrittes in die Zukunft gehen lassen.

„Denn es ist ein Unterschied, ob ein Mensch in seinem Körper geschickt ist, ob er Sprungkraft und Leichtigkeit fühlen kann, ob er die Gesetze der Trägheit und des Gleichgewichts meistert oder ob er von ihnen beherrscht wird und seinen Körper plump und unbeweglich erlebt. Das Erüben von Körpergeschicklichkeit ist ein ständiges Überwinden der eigenen Trägheit und der Schwere des Körpers, indem sich bei vielen Übungen das Erlebnis einstellt: Ich stelle mir eine Bewegung vor, und ich will sie ausführen – mein Körper folgt meinem Willen – ich sehe und erfahre das Gelingen der Aktion!“ (Ballreich et all, 2007, S.35).

Was ich aus der Akrobatik mitnehmen konnte

In erster Linie brachte mir mein Training Spaß und eine Menge Bekanntschaften, die ich nicht mehr missen möchte.

In meiner Kinderzeit war ich unheimlich geschickt, bin Bäume hinaufgeklettert, über Mauern gesprungen und habe praktisch kaum eine Möglichkeit ausgelassen, mich zu bewegen.

Bei mir war es der Wachstumsschub, der mich aus meinem Gleichgewicht brachte. Das erlebe ich auch heute noch: Kaum wachsen die Kinder einige Zentimeter über den Sommer, schon muss man gut beherrschte Techniken wieder ganz langsam angehen.

Über die Akrobatik habe ich ein Gefühl zu meinem Körper zurückgefunden, welches ich in dieser Form nie erwartet hätte. Ich habe Dinge gelernt, die ich nur aus dem Fernsehen oder Zirkusshows kannte. Und ich habe gelernt auf eine völlig ungewohnte Art und Weise mit Menschen in Kontakt zu treten; mit ihnen zu kommunizieren: über akrobatische Figuren.

Gerade in der heutigen von digitalen Medien überschwemmten Zeit ist es mir ein Anliegen, zu dieser Körperlichkeit zurückzufinden. Hautnahe, lebensechte Kontakte zu knüpfen, statt über elektronische Medien zu kommunizieren. Und insbesondere: Das Gefühl für unseren Körper bewahren, statt uns mit einem virtuellen Körper durch eine Fantasiewelt zu bewegen.

Quelle:

Ballreich, Rudi / Lang, Tobias / von Grabowiecki, Udo, (2007). Zirkus-Spielen 3. Aufl. Stuttgart: Hirzel Verlag